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von Juliane Cassedy

Wilhelm Genazino: "Die Liebesblödigkeit"

Es ist wohl ein bisschen hochgegriffen, dennoch fühlte ich mich bei der Lektüre dieses Buches die ganze Zeit an „Ulysses“ oder zumindest an „Leutnant Gustl“ erinnert: Nicht etwa wegen vergleichbarer Thematik, nein, da gibt es kaum Ähnlichkeiten, sondern wegen dieses eigenwilligen Erzählstils, den alle drei Werke gemeinsam haben.

Ich hatte schon einige sehr lobende Rezensionen über Wilhelm Genazinos „Liebesblödigkeit“ gelesen. Bisher hatte mich der merkwürdige Titel und das Cover des Buches – hinter einem Baumstamm schmusen Zweie, Kinder ganz offensichtlich – abgeschreckt. Was soll das sein, „Liebesblödigkeit“? Der Protagonist selbst hat sich dieses Wort zusammenassoziiert, aus Bildern, Ideen, Erinnerungen und besonders aus Fragen über sich selbst, sein Leben, sein Lieben. Und da ist sie die Ähnlichkeit zu Schnitzlers „Leutnant Gustl“. Der Text besteht einzig aus Gedanken und Reflexionen über gerade Erlebtes und Wahrgenommenes sowie über Erinnertes.

Das Geschichte handelt von einem Mann, Spezialist für Apokalypse von Beruf, der aus eigener Sicht langsam in ein kritisches Alter kommt. Nun glaubt er, sich für eine der beiden Frauen, Sandra und Judith, zwischen denen er bislang hin und her pendelte, entscheiden zu müssen. Das ist kaum neu, auch nicht, dass er sie beide, die sich nicht kennen, seit vielen Jahren liebt, jede anders. Neu und faszinierend ist der Einblick in die Gedankenwelt und die Gedankengänge dieses Mannes, seine Beobachtungen der kleinen Details des Alltags und der Schlüsse, die er aus diesen Beobachtungen für sich zieht.

„Liebesblödigkeit“ ist trotz des blöden Titels ein wunderbares gelungenes Buch, voller Wärme für das Leben und seine Tücken, geschrieben mit feinem Witz und Selbstironie.

Wilhelm Genazino

Die Liebesblödigkeit

Carl Hanser Verlag, 208 Seiten, EUR 17,90

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