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von Kerstin Schmidt

Stefan Schwarz: "War das jetzt schon Sex?"

Frauen, Familie und andere Desaster

Wenn Sie regelmäßig DAS MAGAZIN lesen, dann brauche ich Ihnen zu diesem Buch eigentlich nichts mehr zu sagen. Dann lesen Sie die Stefan-Schwarz-Kolumne vielleicht auch gleich im Hausflur, wenn der Briefkastenschlüssel noch steckt. Oder Sie schmökern erst genüsslich das ganze Heft durch und heben sich seine Seite bis zum Schluss auf...

Für alle Uneingeweihten: Stefan Schwarz zu lesen, ist wie das Abbiegen von einer nervigen, unpersönlichen Hauptstraße in eine gemütliche Gasse, wo die Kinder noch unbekümmert auf der Straße herumtoben. Wo sich Ehekräche auf Balkonen abspielen, wo Väter Rotznasen abwischen - wo noch „richtige“ Familien zu Hause sind.

Natürlich ist auch in richtigen Familien nicht immer alles in Butter. Aber es ist dafür auch niemals langweilig. Die meisten Überraschungen und Herausforderungen müssen nach Meinung des Autors dabei allerdings die Väter aushalten. Wohlgemerkt: moderne Väter, leidenschaftliche Väter - die in Geburtsvorbereitungskursen engagiert mithecheln und sich auch nach der Geburt ihres Sprösslings für keine elterliche Pflicht zu schade sind.

Nun kann man Alltagsbeobachtungen aus der Biosphäre „Familie“ auf ganz verschiedene Weise zu Papier bringen. Für Stefan Schwarz genügen immer recht wenige Blätter, meistens reicht ihm eine MAGAZIN-Seite. Doch das Ergebnis ist umwerfend: lustvoller Sprachwitz, Augenzwinkern bis über beide Ohren – mit einem nicht unerheblichen Suchtpotenzial! Nein, Ratschläge zum Bessermachen gibt es nicht. Aber Sie werden staunen, dass in anderen Familien genau die gleichen Katastrophen passieren und zukünftig vielleicht die eigenen nicht mehr ganz so sehr dramatisch sehen.

Ob es auch etwas gibt, was mir an diesem Buch nicht gefallen hat? Nun ja, irgendwie finde ich den Titel und das bonbonfarbene Cover nicht ganz so gelungen. Ich denke, irgendwas wie „Best Of“ nebst einem Konterfei des Dreitagebärtigen auf dem Einband – und beinahe alle MAGAZIN-Leser und zusätzlich der uneingeweihte Rest weiblicher Leserschaft würden stehenden Fußes schwach werden...


Leseprobe

Fridjof Nansen und ich (Vorwort)

Als mein Sohn noch sehr klein und unvernünftig war und nur Bierschinken mit Ketchup drauf aß und sonst gar nichts, verbrachte er seine Tage im Kindergarten der Erlöserkirche. Der Kindergarten hieß im Elternmund nur Erlöserkindergarten, und damit traf der Elternmund ziemlich genau, was das Elternherz fühlte, wenn man um 9 Uhr in der Mini-Garderobe seine Zappelquappen endlich ausgepellt, plattgeknutscht und weggeklapst hatte. Der Erlöserkindergarten lag zudem in der Fridjof-Nansen-Straße.
Nansen ist weltberühmt, weil er im vorletzten Jahrhundert mit paar Schlitten nebst Hunden und einem Zentner Eßbarem mal als erster das Innere Grönlands in anderthalb Monaten durchquert hatte. Eine schöne Leistung für einen gesunden, jungen Mann, der sonst nichts weiter vorhat! Aber das ist natürlich nix gegen das Quantum, das ein durchschnittlicher Vater in den dunklen Wintermonaten Mitteleuropas stemmen muß. Denn erstens muß der Schlitten ganz ohne ehrgeizige Hunde, aber hörbar funkenkratzend über einen nur unwesentlich oder auch mal gar nicht schneebeflockten Bürgersteig mitsamt einem Zentner Sohn und Eßbarem geschleift, und zweitens muß auf dem täglichen Weg zur Kaufhalle die Diagonale Grönlands pro Winter mehrfach durchmessen werden. Vater-Straßen gibt es aber meines Wissens nicht.
Dieses Buch ist daher dem stillen, so wahrscheinlich ungewollten, dafür aber endlosen Heldentum der Eltern gewidmet, und zwar bei leichter, aber vorsätzlicher Übergewichtung der Vaterschaft. Warum das? Für den zeitgenössischen Mann ist der Übergang vom nichtsnutzigen Single zum Allzweck-Vater besonders dramatisch und ist, was den Rollenwechsel angeht, höchstens noch mit einer Geschlechtsumwandlung zu vergleichen. Wenn Sie, Mann von heute, Vater von Kindern werden, treten Sie in eine Art Diensthabendes System ein, gegen das sich der offizielle Anspannungsgrad der NATO-Luftraumüberwachung wie eine gottverdammte Kifferunde ausnimmt.
Sie können nicht einfach sturzbetrunken nach Hause kommen, der Babysitterin kichernd die paar Scheine ins Dekolleté drücken und zu Bett stürzen, um bis zum nächsten Mittag mit ausgeleierten Gesichtszügen das Kissen durchzuschnorcheln. Denn die Babysitterin könnte nämlich dem Kind zufällig genau den Bierschinken mit Ketchup aufs Brot gepappt haben, den Sie heute morgen eigentlich längst wegschmeißen wollten...
Versuchen Sie doch mal, um halb eins nachts mit 2,1 Promille im Schädel halbverdauten Bierschinken aus einem sich immer schneller drehenden Flurteppich zu bürsten, obwohl sie eigentlich dem klagenden Kindlein eine Wärmflasche voll Kamillentee oder irgend sowas machen müßten. Und war da nicht eben schon im Kinderzimmer dieses brunnenspeiende Geräusch ...?
Im Leben mit Kindern ist die Verkettung unglücklicher Umstände nämlich der Regelfall, und die Geschwindigkeit, mit der Sie lernen werden, sich darauf einzustellen, denunziert alle Theorien über angstfreies Lernen im Alpha-Zustand als Kaffeeklatsch.
Das war noch unlängst etwas anderes. Mein Vater führte die Familie werktags wesentlich vom Sofa aus und sprach höchstens beruhigend auf meine Mutter ein, wenn sie zwischen Topfsitzung des Jüngsten, Stulleschmieren fürs Mittlere und Hausaufgabenkontrollieren fürs Älteste mal unwirsch zu werden drohte. Auch weiterführender Alkoholgenuß war innerhalb dieser Aufgabenteilung kein Problem, und mein Vater konnte nach Geselligkeiten mit anderen Vätern um halb eins in der Nacht unbesorgt in den mit Bleikristall vollgestellten Raumteiler torkeln, ohne sich dabei den Kopf zu zerbrechen, ob die Kinder morgen pünktlich in der Schule erscheinen würden.
Die moderne Frau hingegen ist zu Recht der Ansicht, daß Babywickeln ab dem sechsten Monat eigentlich Männersache ist, und wenn man Hebelkraft und Drehgeschwindigkeit der kleinen Speckbolzen in Rechnung stellt, eigentlich sogar die Sache von zwei Männern, wenn möglich Bereitschaftspolizisten. Und das ist nur eine von 12.000 neu übertragenen Betätigungsmöglichkeiten.
Junge Männer ahnen das natürlich nicht, wenn sie junge Frauen bloß wegen ihres tollen Aussehens ins Kino einladen, wo sie vom tollen Aussehen überhaupt nichts haben und überdies Blut und Wasser schwitzen, daß es nicht der falsche Film sein möge. Sie wissen nicht, daß sie bei andauernder Partnerschaft und einsetzender Vermehrung persönlich für das weiterhin tolle Aussehen ihrer Frau verantwortlich gemacht werden und daß, falls sie es nicht tun, faule Väter heutzutage schnell und kompromißlos und – dank der bundesdeutschen Gesetzlichkeit häufig mit nicht unerheblicher Provision für die Mutter – gegen motiviertere Exemplare ausgetauscht werden.
Dieses Buch enthält Texte aus zehn Jahren, in denen ich die Freude hatte, für das ehrwürdige „Magazin“ schreiben zu dürfen. Wie es der Zufall wollte, waren dies just die Jahre, in denen ich beinah zwei Freundinnen gehabt hätte und dann aber doch tatsächlich noch die eine und dann die andere Frau für mich begeistern konnte, um mit ihr jeweils eine Familie zu gründen. (Wer dabei ab wann wer ist, überlasse ich dem Spürsinn der Leser. Die mögen so was.) Genug Gelegenheit, die offenkundigen Paradoxien des Familienlebens ausgiebig zu studieren.
Der Fokus der Öffentlichkeit ist freilich ziemlich häufig ein anderer. Hier wird die elterliche Fürsorge im Ballettkleidchen über die Bühne gescheucht. Soll ich das Kinderbettchen wegen des grassierenden Magnetismus wirklich in Nord-Süd-Richtung aufstellen? Können nicht ausreichend abgerundete Bauklötzer mein Baby aggressiv machen? Wo gibt es histaminfreie Hirse für den Morgenbrei zu kaufen?
Die meisten familiären Probleme sind aber Managementprobleme mit akutem Entscheidungsbedarf, für deren Lösung Nervenstärke, gute körperliche Verfassung und die Abwesenheit von beruflichem Streß oder sexuellen Einzelpräferenzen ausschlaggebend sind – also alles Dinge, die Ihnen vorher in einer Familie schon mit Sicherheit abhanden gekommen sind. Wie das der Mann, dessen Bild in meinem Ausweis klebt, gemacht hat, können Sie jetzt lesen. Doch Achtung: Dieses Buch ist kein Ratgeber. Man kann in diesem Buch nicht lernen, wie man etwas richtig macht. Man kann aber lernen, wie man wenigstens nach außen hin lässig rüberkommt, wenn man mal wieder alles falsch gemacht hat.

Stefan Schwarz

Mehr? —  auf der Webseite vom MAGAZIN

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